Krisenbereitschaft ‒ Neue Fähigkeit an der Schnittstelle von Strategie, Handwerk und Kultur
- Dr. Albena Björck
- 8. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Dr. Albena Björck ist Chair der Strategic Management Division der European Academy of Management und leitet den Themenbereich «Purpose-orientierte Strategien». Björck hat internationale Forschungsnetzwerke zu Purpose, Krisenmanagement und von Chief Purpose Officer mitgegründet. Sie doziert, publiziert und berät zu diesen Themen. Björck bringt dazu mehr als 25 Jahre Praxiserfahrung in strategischer Unternehmensentwicklung und Kommunikation mit.
„Gefahr von Cyberangriffen hoch wie nie“, „Risiken in einer Zeit multipler Krisen“ oder „Auf der Wirtschaft lasten zu viele Risiken“ sind aktuelle Schlagzeilen, die die Herausforderungen von Entscheidern in Unternehmen deutlich machen. In einer zunehmend volatilen und unsicheren Welt gewinnt das Konzept der Krisenbereitschaft an strategischer Relevanz. Traditionell ist Krisenmanagement reaktiv, operativ und vergangenheitsorientiert. Das neue Konzept der Krisenbereitschaft setzt auf eine dynamische, anpassungsfähige und antizipierende Herangehensweise an¹: Es geht nicht nur darum, auf Krisen zu reagieren, sondern eine widerstandsfähige Organisation zu entwickeln, die Krisen als Situation voll strategischer Chancen wahrnimmt und sich stets erneuert. Denn Unternehmen, die proaktiv auf Krisen vorbereitet sind, können nicht nur besser auf unerwartete Herausforderungen reagieren, sondern auch langfristig ihre Vitalität stärken. Ein echter Paradigmenwechsel im Umgang mit Krisen.
Krisenbereitschaft ist mehr als reine Vorbereitung. Aus Prozessperspektive umfasst sie die Krisenvorsorge, Krisenprävention und eine vorausschauende Denkweise. Besondere Aufmerksamkeit verdient „die vorausschauende Denkweise“. Dadurch wird die Krisenbereitschaft zu einer proaktiven, strategischen und zukunftsorientierten Fähigkeit. Sie zielt darauf ab, potenzielle Krisen frühzeitig zu erkennen, ihnen entgegenzuwirken, ihre Auswirkungen zu minimieren und sie aktiv zu bewältigen. Der strategische Prozess, um Krisenbereitschaft systematisch aufzubauen, setzt an der Schnittstelle von Strategie, Handwerk und Kultur an.²

Strategie:
Krisenmanagement als integraler Bestandteil der Unternehmensführung
Eine effektive Krisenbereitschaft beginnt mit einer strategischen Verankerung des Themas im Unternehmen und sollte folgende Elemente beinhalten:
Früherkennung von Chancen und Risiken: Unternehmen sollten regelmäßige und ganzheitliche Risikoanalysen durchführen, um mögliche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Dazu kommt ein offener Austausch mit den Anspruchsgruppen, um Sensibilitäten und Betroffenheit im Voraus einzuschätzen. Dies beinhaltet auch die Berücksichtigung systemischer Risiken wie Lieferkettenunterbrechungen oder geopolitischer Unsicherheiten.
Integration in die Unternehmensstrategie: Krisenmanagement darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss in die allgemeine Geschäftsstrategie eingebunden sein.³ Eine klare Governance-Struktur, die Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege definiert, ist dabei essenziell.
Flexibilität und Agilität: Da Krisen oft unvorhersehbar sind, sollten Strategien nicht starr, sondern anpassungsfähig gestaltet sein.⁴ Dies erfordert eine rollende Planung und kontinuierliche Evaluation und Anpassung der Maßnahmen in der engen Zusammenarbeit mit relevanten Anspruchsgruppen.
Kopplung zum Purpose als Filter und Anker in schwierigen Zeiten: Der Purpose dient sowohl als Filter für strategische Entscheidungen als auch als Anker für die Mitarbeitenden. Purpose wird nicht nur in den strategischen Zielen operationalisiert, sondern auch als gemeinsames Leitbild im Unternehmen verankert und gelebt.

Handwerk:
Operative Exzellenz im Krisenmanagement
Neben der strategischen Ebene spielt die praktische Umsetzung eine entscheidende Rolle. Die Fähigkeit, in
Krisen „den kühlen Kopf“ zu bewahren, schnell und effektiv zu reagieren, hängt maßgeblich von operativen Faktoren ab⁵:
Strukturiertes Krisenkommunikationsmanagement: Eine klare interne und externe Kommunikation minimiert Unsicherheiten und schützt die Reputation des Unternehmens. Unternehmen sollten in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit konsistente und glaubwürdige Botschaften zu formulieren und über verschiedene Kanäle zu verbreiten.
Regelmäßige Übungen: Simulationen realitätsnaher Krisenszenarien helfen, Abläufe zu testen und Schwachstellen frühzeitig zu identifizieren. Dabei sollten nicht nur logistische Abläufe überprüft, sondern auch Entscheidungsprozesse und Reaktionsgeschwindigkeit getestet werden. Die dadurch gewonnene Routine schafft Stabilität und Ruhe in der Krise.
Interdisziplinäre Krisenteams: Krisenmanagement sollte nicht nur von einer Abteilung verantwortet werden, sondern eine koordinierte Anstrengung verschiedener Geschäftsbereiche sein. Unternehmen sollten zudem auf externe Experten und Berater zurückgreifen können, um ein möglichst umfassendes Krisenmanagement sicherzustellen. Die externen Experten bieten dazu die notwendige Distanz, um objektiv die Lage einzuschätzen und durch die Krisen gestiegene Nervosität zu reduzieren.
Technologieeinsatz: Digitale Lösungen wie KI-gestützte Frühwarnsysteme oder Echtzeitdatenanalyse können helfen, Krisen schneller zu erkennen und effektiver darauf zu reagieren.

Kultur:
Purpose und proaktiver Mindset als Teil der Krisenkultur
Eine oft unterschätzte, aber entscheidende Komponente der Krisenbereitschaft ist die Unternehmenskultur. Zahlreiche Studien zeigen auf, wie stark ein positives Zukunftsbild und klare und motivierende Ambition, die Resilienz und die Erneuerung von Individuen beeinflussen aber auch Unternehmen. Eine proaktive Kultur hilft auch, Krisen besser zu bewältigen und diese als Chance zu nutzen.⁶ Leichter gesagt als getan, da genau diese dritte Säule der Krisenbereitschaft am längsten braucht, um aufgebaut zu werden, und von einer Vielzahl Faktoren abhängt:
Purpose-orientierte Führung: Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle, indem sie eine proaktive und wertorientierte Denkweise vorleben und fördern.⁷ Eine purpose-orientierte und authentisch vorgelebte Unternehmenskultur stärkt das Vertrauen in die Unternehmen und erhöht die Loyalität der Mitarbeitenden.
Empowerment der Mitarbeitenden: Ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit ermöglicht schnellere Reaktionen auf unerwartete Ereignisse, aber vor allem wirksame Prävention. Sorgfältige Dezentralisierung, gezielte Schulungen und ein dynamisches Führungskonzept können dies unterstützen.
Offene Fehlerkultur: Unternehmen sollten eine transparente Fehlerkultur fördern, in der aus vergangenen Krisen gelernt wird.⁸ Fehler sollten nicht sanktioniert, sondern als Lernchancen begriffen werden.
Psychologische Sicherheit: Mitarbeitende müssen sich sicher fühlen, Risiken und Bedenken zu äußern, ohne negative Konsequenzen zu befürchten.⁹ Dies schafft eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung.
Fazit
Krisenbereitschaft ist mehr als reaktives Krisenmanagement – sie verbindet Strategie, operative Exzellenz und Unternehmenskultur zu einer ganzheitlichen Fähigkeit. Unternehmen, die Krisenbereitschaft systematisch aufbauen, setzen auf vorausschauende Analysen, strategische Agilität und eine starke, purpose-orientierte Kultur. Der gezielte Einsatz von Technologie, interdisziplinären Teams und einer offenen Fehlerkultur stärkt die Resilienz und ermöglicht eine schnelle, flexible Reaktion auf unerwartete Herausforderungen. So wird Krisenbereitschaft zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil, da sie nicht nur widerstandsfähiger macht, sondern auch hilft, Krisen als Chancen zur Weiterentwicklung zu nutzen.
Quellen:
1 Jin, Y., Shivers, N., Wang, Y., Coombs, T. and Van Der Meer, A. (2024), “READINESS as a new framework for crisis management: academic-industry integrated expert insights from practitioners and scholars”, Journal of Communication Management.
2 Björck, A., Bläse, R. and Bastida, P. (2024), “Becoming crisis-ready: A systematic literature review on corporate crisis readiness and the process to achieving it”, Journal of Contingencies and Crisis Management, Vol. 32 No. 3, p. e12614.
3 Coombs T., Constantini R. (2019). Crisis Management. Public Relations. Routledge.
4 Wenzel M., Stanske S., Lieberman M. (2020). Strategic Responses to Crisis. Strategic Management Journal+. 42 (2):O16-O17.
5 Johansen W. and Frandsen F. (2020). Crisis Communication.
6 Duchek S. (2020). Organizational Resilience: a capability-based conceptualization. Business research (2020). 13:215-246. Springer.
7 Björck A., Gadgil M. (2024). Marrying Crisis Preparation and Strategic Planning. In: Diers-Lawson A., Schwarz A., Meissner F., Ravazzani S. (2024). Risk and Crisis Communication in Europe: Towards Integrating Theory and Practice in Unstable and Turbulent Times.
8 Edmondson A. (2024). Wertvolle Fehler - Right Kind of Wrong. Vahlen.
9 Edmondson A. (2019). The Role of Psychological Safety. Leader to Leader, 13-19.