Communicators in the Loop ‒Attraktionen im technisierten Kommunikationsmanagement
- Prof. Dr. Christof Ehrhart, Robert Bosch GmbH
- 2. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Prof. Dr. Christof Ehrhart ist Executive Vice President Corporate Communications & Governmental Affairs der Robert Bosch GmbH, Honorarprofessor für Internationale Unternehmenskommunikation an der Universität Leipzig und Vorsitzender des Vorstands der Günter-Thiele-Stiftung für Kommunikation & Management. Als Beobachter der Entwicklung in Praxis und Theorie strategischer Unternehmenskommunikation vertritt er hier seine persönliche Ansicht fernab des Tagesgeschäfts.
Das Verhältnis zwischen Menschen und Maschine ist seit der ersten industriellen Revolution ein wesensbestimmendes Merkmal der Arbeitswelt in ihren Epochen. Nun wird intensiv über die Frage debattiert, welche Rolle künstlich-intelligente Maschinen bzw. Anwendungen in Produktions-, Kreations- und Entscheidungsprozessen künftig spielen können. Gerade im Kommunikationsmanagement werden erhebliche Veränderungen erwartet, weil das seit den antiken Tontafeln geltende Alleinstellungsmerkmal des Menschen als Gestalter, Distributor und Interpret von Inhalten und Botschaften endet. Yuval Noah Hariri spricht davon, dass KI nicht nur ein künstlicher „Mythenmacher“, sondern auch ein digitaler „Bürokrat“ sein wird, dessen Schattenseite eher in Franz Kafkas „Der Prozess“ nachzulesen als bei James Camerons „Terminator“ anzuschauen ist.
„Waren zunächst die verfügbaren Informationen knapp, aber die Aufmerksamkeit der Zielgruppen groß, leben wir heute im Zeitalter eines Informationsüberflusses, der auf zeitlich und kognitiv begrenzte Aufmerksamkeitsbudgets der Menschen trifft.“
Im Kommunikationsmanagement hat der Einsatz innovativer Technologien immer eine entscheidende Rolle gespielt. Auch die Geschichte des strategischen Kommunikationsmanagements muss vor allem als Technikhistorie verstanden werden – von der Druckerpresse über die elektronischen Massenmedien bis hin zu Computer und Internet. Dabei haben sich die erfolgsbestimmenden Ressourcen gegenläufig entwickelt: Waren zunächst die verfügbaren Informationen knapp, aber die Aufmerksamkeit der Zielgruppen groß, leben wir heute im Zeitalter eines Informationsüberflusses, der auf zeitlich und kognitiv begrenzte Aufmerksamkeitsbudgets der Menschen trifft.
Chris Hayes verweist in seinem gerade erschienenen Buch „The Sirens‘ Call: How Attention Became the World´s Most Endangered Resource“ darauf, dass sich dieses Missverhältnis durch generative KI noch vergrößern könnte. Erfolgreiche Social-Media-Plattformen folgten einem „Slot Machine Model“ der Inhaltbereitstellung, das Nutzer mit „Millionen kleiner Unterbrechungen befeuert, von denen dann die wiederholt werden, die jeweils die höchste Aufmerksamkeit erzeugen“. Beim Nutzer wirken dabei Belohnungsmechanismen, bei denen evolutionär alte Hirnareale den Glücksbotenstoff Dopamin ausstoßen. Der Neuropsychologe Lutz Jäncke verweist in seiner Beschreibung des Wegs „Von der Steinzeit ins Internet“ darauf, dass „wir heute diesen Bottom-up-Impulsen allzu oft freien Lauf lassen“ und „uns bei der Informationsauswahl zunehmend von Emotionen leiten lassen“, während gleichzeitig in der virtuellen Umgebung „das direkte soziale Korrektiv fehlt“.
Der gedankliche Schritt zur Frage, was uns im Kommunikationsmanagement dazu motiviert, bestimmte Technologien mehr einzusetzen als andere, ist nicht groß. Der spontane Verweis auf Effektivität und Effizienz des jeweils eingesetzten Instruments kann dabei zu kurz greifen, wie der Wirtschaftshistoriker David Noble schon in den Achtzigerjahren in seiner Sozialgeschichte der Industrieautomation mit Bezug auf die Modernisierung der US-Fabriken nach dem 2. Weltkrieg gezeigt hat. Entscheidend gewesen seien „die Faszination der Automation“ und „der Wunsch, mit dem neuesten Stand der Technik assoziiert zu werden“.
Im Falle des Einsatzes von generativer KI im Kommunikationsmanagement kommt hinzu, dass wir hier von einer Technologie sprechen, die den Eindruck einer eigenständigen Persönlichkeit simulieren kann. Jen Rhymer, Alex Murray und David Sirmon zeichnen in ihrem 2024 erschienenen Beitrag zum „Research Handbook on AI and Decision Making in Organizations“ die Vision von KI-basierten „synthetischen Stakeholdern, die lernfähig sind und als unabhängige Akteure in Entscheidungsprozessen agieren“.
Damit würde sich KI nahezu auf Augenhöhe mit dem Menschen bewegen und so völlig neue Anforderungen an die Kontroll- und Kritikfähigkeit des communicators in the loop stellen. Wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist, haben Forscher von Microsoft Research an der University of Cambridge mit Kollegen der Carnegie Mellon University gerade in einer Studie belegt. Ihr Fazit: Der Einsatz von GenAI verschiebt das kritische Denken der Wissensarbeiter unter anderem von „problem-solving“ zu „AI response integration“. Die Autoren verweisen auf beträchtlichen Ausbildungsbedarf, um den KI-Input angemessen würdigen zu können.
Auch im Kommunikationsmanagement ist abzusehen, dass etablierte (mühsame) Techniken des menschlichen Erwerbs von Information und Wissen an Relevanz verlieren und neue (komfortablere) Technologien der artifiziellen Kreation an Bedeutung gewinnen. Wir erleben den Beginn einer Ära der „Co-Intelligence“, wie Ethan Mollick die neue Gleichzeitigkeit von menschlicher und Künstlicher Intelligenz treffend getauft hat. Welche Herausforderungen das auch für die Motivation der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren bringt, hat Neuropsychologe Jäncke auf den Punkt gebracht: „Wir müssen lernen, uns nicht dem Offensichtlichen und emotional Anregenden hinzugeben, sondern wir müssen unseren Verstand nutzen“.