„Haltungskommunikation wird weiter themenbestimmend sein“
- Sabine Klisch, Jenoptik
- 2. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Okt.
SABINE KLISCH, Jenoptik, im Interview
Sabine Klisch verantwortet seit Mitte 2023 die globale Kommunikation und das Marketing beim börsennotierten Photonik-Konzern Jenoptik mit Sitz in Jena, Thüringen. Mit dem Launch der „#BleibOffen“-Kampagne im November 2023 war das Unternehmen eines der ersten, das sich zu demokratischen Grundwerten positioniert hat. Sabine hat mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Unternehmenskommunikation und dem B2B-Marketing für Technologieunternehmen. Nach ihrem Berufsstart bei IBM und Pixelpark in Deutschland verbrachte sie den Großteil ihrer Karriere in Südafrika, wo sie unter anderem maßgeblich das Wachstum eines Weltmarktführers in der Fahrzeugtelematik bis hin zur Listung an der New Yorker Börse mit vorantrieb. In den letzten Jahren war sie verstärkt im datengetriebenen Marketing für Software-as-a-Service-Unternehmen tätig und baute zuletzt das globale Marketing für das österreichische Start-up MOSTLY AI auf, das Lösungen zur Erzeugung von KI-generierten synthetischen Daten anbietet.
Frau Klisch, bevor Sie im Juli 2023 die Markenkommunikation von Jenoptik übernommen haben, haben Sie das Marketing des auf die Erstellung von KI-generieten synthetischen Daten fokussierten Start-ups MOSTLY AI verantwortet. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt, von denen Sie nun bei Jenoptik profitieren?
Sabine Klisch: Arbeiten in einem Start-up – etwas von nahezu null aufzubauen – erfordert viel Flexibilität und Durchhaltevermögen. Es ist ganz normal, dass Dinge nicht auf Anhieb funktionieren und man es ein zweites oder drittes Mal versuchen muss. Die berühmte Fehlerkultur. Darüber hinaus steht das Machen im Mittelpunkt, auch die Fähigkeit zu improvisieren, sich sehr schnell auf Veränderungen und neue Anforderungen einzustellen. Und im Neuen die Chancen zu sehen, nicht nur die Risiken. Das sind alles Erfahrungen und Eigenschaften, die ich bei Jenoptik einbringe. Natürlich hatte ich auch die Möglichkeit, viel über generative KI und ihre Möglichkeiten zu lernen. Zu einem Zeitpunkt, als es ChatGPT noch nicht gab.
Darüber hinaus arbeite ich nun in der Kommunikation und dem Marketing für Technologieunternehmen seit über 25 Jahren – ein Bereich, der schon immer sehr schnellen Veränderungen ausgesetzt war. Das prägt, und davon profitieren meine Arbeit und mein Umfeld besonders.
Wie würden Sie die Markenidentität von Jenoptik beschreiben, und wie spiegelt sich diese in Ihrer Kommunikationsstrategie wider?
Sabine Klisch: Wir bei Jenoptik fokussieren uns auf unsere Kernkompetenz Photonik. Das spiegelt sich in unseren Taglines „More Light“ und „The Power of Light“ wider. Selbst unsere visuelle Identität basiert auf Color Rays. Sie stehen für den Einsatz unserer Expertise und Vorstellungskraft, aber auch für Orientierung und Fortschritt. Sie weisen darauf hin, dass von Jenoptik strahlende, neue und auch inspirierende Dinge erwartet werden können. Unsere Marke steht aber auch dafür, zu zeigen, dass engagierte und neugierige Menschen immer Herausragendes leisten. Wir wertschätzen neue Ideen und entwickeln sie in einem offenen Dialog weiter. Wir bringen die Dinge voran. Wir arbeiten an innovativen Produkten und Services, die bisher noch nicht realisiert worden sind. Wir haben den Mut, die Überzeugung und das Know-how, sich bietende Chancen zu ergreifen und auf dem Gebiet der Photonik führend zu sein. Wir blicken optimistisch und selbstbewusst in die Zukunft. Passenderweise sind unsere Unternehmenswerte „open“, „driving“, „confident“. Sie untermauern unseren Markenkern.
Generell versuchen wir in unserer Kommunikation, Themen zu belegen, die unsere „Thought Leadership“ im Bereich Optik und Photonik unterstreichen. Unsere Produkte und Lösungen machen die Digitalisierung überhaupt möglich. In den Märkten, die wir bedienen – die Halbleiterausrüstungsindustrie, die Biophotonik, Mess- und Verkehrstechnik – treiben wir Innovation voran, die häufig für die Öffentlichkeit versteckt passiert. Umso wichtiger ist es, unsere besonderen Fähigkeiten und Talente, die zum Teil marktführend sind, in den Vordergrund zu rücken.
Es wäre verheerend, sich nur auf die Kommunikation zu fokussieren. Der Unterbau im Unternehmen muss stimmen, den Worten müssen Taten folgen.
Als Unternehmen mit ostdeutschen Wurzeln haben Sie sich im Vorfeld der Landtagswahlen mit der Initiative #BleibOffen für Offenheit, Toleranz und Diversität eingesetzt. Was waren wesentliche Bestandteile der Initiative?
Sabine Klisch: Unsere „#BleibOffen“-Kampagne zeigt sehr gut, wie sich diese Markenidentität in unserer Kommunikationsstrategie widerspiegelt: Sie baut auf unseren Werten auf und ist eine mutige Kommunikation über Themen, die uns als Unternehmen erfolgreich machen: unterschiedliche Perspektiven, Vielfalt und Diversität, internationaler Marktplatz der Ideen usw. Gleichzeitig hat sie gesellschaftliche Relevanz. Sie zeugt auch vom Mut und Engagement unserer Mitarbeitenden, die sich als Gesichter der Kampagne engagiert haben. Und wir haben damals, im November 2023, eine klare Führungsrolle übernommen, als wir eines der ersten Unternehmen waren, die sich zum gesellschaftspolitischen Umfeld positioniert haben.
Es ist wichtig, hervorzuheben, dass #BleibOffen eine Positivkampagne ist, die sowohl von der Geschäftsführung als auch von den Mitarbeitern getragen wurde und wird. Ziel ist es, aufzuzeigen, welche Faktoren und Rahmenbedingungen uns als Photonik-Konzern erfolgreich machen und dafür einzutreten, dass diese erhalten bleiben – nicht nur in Jena und Thüringen, sondern auch deutschlandweit und darüber hinaus. In unserer Kommunikation haben wir uns ganz bewusst für Offenheit, Toleranz, den freien Austausch von Ideen, Innovation und Kreativität ausgesprochen – und nicht gegen etwas. Ohne den symbolischen Zeigefinger zu erheben.
Alle Kampagnenmotive zeigen Mitarbeitende. Es freut uns, sagen zu können, dass die Idee unternehmensintern von Anfang an mit Begeisterung aufgenommen wurde. Das erste Fotoshooting war „nur“ mit Mitarbeitenden aus Jena – später haben sich andere Niederlassungen proaktiv angeschlossen, und wir haben Shootings bei unserer Tochterfirma TRIOPTICS in Wedel und unserem Bereich Smart Mobility Solutions in Monheim gemacht.
Genau vor einem Jahr, Mitte November 2023, sind wir mit einer Outdoor-Kampagne in Jena, Erfurt und Dresden, wo wir ebenfalls schon lange als Unternehmen aktiv sind und gerade in eine neu gebaute Fab einziehen, live gegangen. Unterstützt wurde mit Presseaktivitäten, Druckmedien wie Postkarten und Aufklebern, Anstecknadeln und natürlich digital, vor allem auf LinkedIn sowie über Google- und YouTube-Werbung, um die relevanten Zielgruppen zu erreichen.
Phase 1 endete im Februar 2024. Mit den Europa- und Thüringer Kommunalwahlen im Mai hatten wir die Phase 2 eingeläutet, die dann bis Ende August lief. Wir haben ähnliche Kanäle wie in Phase 1 genutzt, vor allem aber der Pressearbeit viel Zeit eingeräumt, da wir ein riesiges Interesse zu verzeichnen hatten. Im Vorfeld der Landtagswahlen kam dieses auch zunehmend von internationalen Journalisten, was in einem internationalen Medientag in Jena mündete, den wir zusammen mit der Stadt Jena, den Landräten der Kreise Saale-Orla und Saale-Holzland, der Initiative Weltoffenes Thüringen, Jenaer Bildungseinrichtungen und anderen Unternehmen in der Region durchgeführt haben.
Welche Reaktionen haben Sie sowohl intern als auch extern erhalten?
Sabine Klisch: Zu diesem Zeitpunkt – Ende 2023 – waren wir eines der ersten Unternehmen in Deutschland, die sich mit einer klaren Haltung positioniert haben. Von Anfang an hatten wir gehofft, dass sich andere Firmen und Organisationen anschließen würden. Das ist auf vielfältige Art und Weise passiert. Das Thema Haltungskommunikation ist im Moment eines der meistdiskutierten in der Branche.
Als Unternehmen haben wir sehr viel positives Feedback bekommen – intern und extern. Wir wussten, dass wir ein „heißes“ Thema adressieren, aber wir waren vom Umfang der externen Aufmerksamkeit dann doch überrascht. Da hatten wir einen Nerv getroffen. Hinzu kam, dass wir als erfolgreiches, börsennotiertes ostdeutsches Unternehmen unseren Hauptsitz in Thüringen und noch dazu auch einen ostdeutschen CEO haben. Das gab und gibt unserem Tun ein anderes Niveau an Glaubwürdigkeit, wenn wir uns zu standortpolitischen Aspekten äußern.
Natürlich gab es auch negative Stimmen – intern und extern. Sie waren aber deutlich in der Minderheit. Mitarbeitende, die der Kampagne nicht zugestimmt haben, haben es zum Beispiel über unser Intranet oder auch in direkter Kommunikation mit unserem CEO adressiert. Extern waren es im Wesentlichen E-Mails, in denen Menschen ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht haben.

Wie blicken Sie rückwirkend auf die Initiative?
Sabine Klisch: Erst einmal: Wir machen weiter. Themen wie Offenheit, Toleranz, wirtschaftliche Erfolgsfaktoren in Ost- und Gesamtdeutschland sind aktuell relevant wie nie. Alles sieht nach einer Bundestagswahl im ersten Quartal 2025 aus – wir überlegen uns also gerade, wie eine Phase 3 unserer Kampagne aussehen könnte. Darüber hinaus sind wir bei „Weltoffenes Thüringen“, wahrscheinlich Deutschlands größter Grassroots-Demokratiebewegung, engagiert. Auch diese Arbeit wird fortgesetzt.
#BleibOffen hat sehr viele positive Effekte hervorgebracht: zuerst einmal wurden die Marke Jenoptik und unsere Reputation massiv gestärkt. Darauf sind wir natürlich sehr stolz. Wir sind ein B2B-Unternehmen in einer Art Nischenindustrie, der Optik und Photonik, die in Deutschland noch nicht genug Aufmerksamkeit bekommt. Auch das hat einen Boost erhalten. Das Gleiche gilt für Jena und Thüringen als der führende Optikstandort weltweit.
Nicht vergessen möchte ich die Stärkung unserer Arbeitgebermarke: die Kombination von wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Engagement hat auch dort positiv durchgeschlagen. Wir haben neue Mitarbeitende gewonnen, die sich aufgrund unserer deutlichen Positionierung für die Jenoptik entschieden haben.
Welche Trends in der Unternehmenskommunikation halten Sie im kommenden Jahr für besonders wichtig?
Sabine Klisch: Inhaltlich wird es immer wichtiger, als Unternehmen klar und glaubhaft zu kommunizieren. Wenn überhaupt, ist das im Jahr 2024 ganz besonders deutlich geworden. Daher glaube ich, dass die Haltungskommunikation weiterhin themenbestimmend sein wird. Das bezieht sich sowohl auf standort- und wirtschaftspolitische Aspekte als auch Themen wir Nachhaltigkeit, Verantwortung für Lieferketten, Freiwilligenengagement und viele andere, an den Unternehmen und ihre Mitarbeitenden als Akteure in der Gesellschaft eingebunden sind. Allerdings wäre es verheerend, sich hier nur auf die Kommunikation zu fokussieren. Der Unterbau im Unternehmen muss stimmen, den Worten müssen Taten folgen. Ansonsten ist die Glaubhaftigkeit schnell verspielt.
Der Trend einer wieder steigenden Bedeutung der Marke im B2B-Bereich wird sich fortsetzen. Hier spielt die Unternehmenskommunikation eine wichtige, wenn nicht führende Rolle. Ob es die interne Kommunikation und die Entwicklung der Mitarbeitenden als Markenbotschafter oder der Ausbau der Markenbekanntheit durch mehr personenbezogene und emotionale Kommunikation zum Beispiel durch Corporate Influencers sind – hier gibt es viele Ansatzpunkte.
Technologisch gesehen wird Künstliche Intelligenz stärker und stärker unsere Arbeit erleichtern, aber nicht ersetzen. Wie in vielen Bereichen wird sie uns erlauben, uns auf das zu konzentrieren, was wesentlich ist: die kreative Auseinandersetzung mit den Bedarfen unserer Zielgruppen und dem darauf aufbauenden strategischen Planen und Agenda-Setting.
Und es gibt einen Trend, den ich in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen habe, von dem ich mir persönlich wünsche, dass er wächst und sich durchsetzt: die Kommunikation ostdeutscher Erfolgsgeschichten! Es gibt so viele von ihnen, über alle Unternehmensgrößen und Industrien hinweg. Ich sehe im Moment zwei Tendenzen: zum einen das wachsende Selbstbewusstsein ostdeutscher Unternehmen, ins Rampenlicht zu treten, und die wachsende Zahl von Formaten und Plattformen, z. B. Podcasts, Festivals etc., die sich auf dieses Thema fokussieren. Einzig die „traditionellen“ Medien scheinen sich in ihrer Berichterstattung damit noch etwas schwer zu tun, und ich hoffe, dass sich das ebenfalls bald ändert.
Die Fragen stellte Gregor Vischer.




