Krisenkommunikation im Brennglas ‒ Mit Daten navigieren und Erfolge messen
- Ben Roughton, Unicepta
- 30. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Ben Roughton ist Director bei UNICEPTA und verfügt über mehr als 12 Jahre Erfahrung in der Analyse von Reputation, Reputationsmanagement und strategischer Kommunikationsberatung für nationale und internationale Unternehmen sowie Sportorganisationen und -vereine. Darüber hinaus unterstützt er das Management und die Geschäftsentwicklung bei der Gestaltung und Umsetzung neuer Produktstrategien und Innovationen im Bereich Datenanalyse und Media Intelligence.
Krisenkommunikation ist die Disziplin der Stunde – und doch wird ihr Stellenwert in vielen Kommunikationsabteilungen noch immer unterschätzt: als taktisches Instrument, als Reaktion auf Kontrollverlust oder selbst als Pflichtprogramm für krisengestärkte Kommunikatoren. Dabei ist sie längst zum Lackmustest strategischer Führung geworden. In einer Kommunikationswelt, die fragmentiert, radikal beschleunigt und hypertransparent ist, entscheiden nicht nur Taten über Vertrauen, sondern ebenso das Framing, Timing und die narrative Qualität der Reaktion.
Was Führungskräfte heute brauchen, ist kein Handbuch mit vorformulierten und uninspirierten Statements für den Ernstfall, sondern ein Kompass für Kommunikation in Zeiten der Unsicherheit – wenn sich die Lage rasend schnell verändert, Gerüchte schneller kreisen als Fakten und jede falsche Aussage einen Sturm auslösen kann.
Krisenkommunikation beginnt bei der richtigen Diagnose und reicht bis zu der Fähigkeit, die eigene Rolle in der öffentlichen Auseinandersetzung zu steuern, aber auch über den Ernstfall hinaus aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wir blicken am Beispiel zweier Krisen der jüngsten Vergangenheit ...
... wo die Theorie an ihre Grenzen stößt
Die Lehre zur Krisenkommunikation hat sich über Jahrzehnte weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es ein regelrechtes Arsenal an Modellen, das PR-Verantwortlichen helfen soll, Krisentypen zu erkennen, Adressaten zu verstehen und Handlungsstrategien abzuleiten. Insbesondere die Situational Crisis Communication Theory (SCCT) von Timothy Coombs hat sich als robust erwiesen: Sie unterscheidet zwischen Opfer-, Unfall- und Vermeidungskrisen, gewichtet Verantwortung und empfiehlt abgestimmte Reaktionen.
Doch die Realität in Unternehmen zeigt: Diese Modelle allein greifen zu kurz. Denn sie sind oft reaktiv, statisch und ohne datengestützte Echtzeitvalidierung. Was sie nicht abbilden: Wie schnell sich heute Narrative verschieben, wie stark Plattformen Emotionalisierung verstärken – und wie sehr Entscheidungen unter öffentlichem Druck nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“ und „Wann“ der Kommunikation verändern.
In der Praxis zeigt sich aktuell, dass Kommunikatoren mit mehr als nur theoretischem Fachwissen ausgestattet sein müssen.
Kommunikationsverantwortliche müssen im Krisenfall zum Schweizer Taschenmesser werden und neben einem starken Team auch über das richtige Instrumentarium zu Monitoring, Listening und Reputationsmessung verfügen.
Denn wer sich auf Theorie allein verlässt, agiert mit dem Blick in den Rückspiegel – anstatt sich an der (digitalen) Wirklichkeit zu orientieren und den Diskurs aktiv mitzugestalten.
Szenario 1
Fingerpointing bleibt erfolglos – gefangen reaktiv zu bleiben?
Am 19. Juli 2024 führte ein fehlerhaftes Update der CrowdStrike-Falcon-Software zu einem der größten IT-Ausfälle der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Weltweit waren über Nacht weit über 8 Millionen Windows-Rechner betroffen – und mit ihnen Hunderte Unternehmen, deren Prozesse in Echtzeit zum Erliegen kamen. Besonders schwerwiegend – das fehlerhafte Update betraf ausgerechnet Teile der kritischen Infrastruktur und sandte einige (vor allem verbrauchernahe) Industriebereiche kurzfristig gefühlt zurück in die Steinzeit. Ganz besonders im Fokus des Ausfalls: Delta Airlines. Die Fluglinie stand in der ersten Woche nach dem Vorfall im Zentrum von über 31.000 Social-Media-Posts – deutlich mehr als vergleichbar betroffene Unternehmen. Früh wurde Kritik laut: an der IT-Architektur, an der Reaktionszeit und vor allem an der Kommunikation selbst. Delta entschied sich zunächst für eine strategisch heikle Linie: Schuldzuweisungen an CrowdStrike und Microsoft dominierten die ersten Statements. Der Konflikt eskalierte öffentlich, rechtliche Schritte folgten – die Debatte wurde breiter, härter und letztlich deutlich langwieriger als nötig. Was sich hier beobachten ließ, ist lehrreich für alle Kommunikatoren: Narrative, die auf Konfrontation setzen, verlängern die Lebensdauer einer Krise deutlich – nicht nur medial, sondern auch im kollektiven Gedächtnis. Während Delta in der Defensive blieb, agierten andere betroffene Unternehmen wie Tesla proaktiv, übernahmen Verantwortung und kommunizierten lösungsorientiert. Das Ergebnis: Tesla hatte mit Abstand das geringste Volumen negativer Inhalte in der Woche nach dem Ausfall, und das Kommunikationsteam konnte damit erheblich dazu beitragen, die Reputation vor weiteren Schäden zu schützen.
Proaktivität als Mechanismus des Reputationsschutzes
Schuldzuweisungen delegieren keine Verantwortung – sie entwerten Reputationskapital. Darüber hinaus: Reaktive Kommunikation läuft digitalen Debatten stets hinterher. Nur wer analytisch durchdringt, wie über ihn gesprochen wird, kann die Debatte inhaltlich und zeitnah mitgestalten. Im Fall Delta Airlines zeigt sich eindrucksvoll, wie wertvoll Echtzeitinformationen im Ernstfall sind. Ein umfassendes Krisenmonitoring kann Wellen nicht nur identifizieren, sondern entlang von Akteursgruppen, Sentimentanalysen und Themenclustern strategische Insights bereitstellen, die Kommunikatoren helfen, das Steuer an sich zu reißen und sicher durch den Sturm zu navigieren.
STRATEGISCHE LEARNINGS
Reagieren reicht nicht:
Proaktive Kommunikation hilft die Krise zu gestalten.
Reputation ist steuerbar:
Aber nur, wenn sie auch verstanden wird.
Reaktionszeit ist Reputationszeit:
Wer früh sichtbar ist, bleibt interpretierbar.
Szenario 2
Die Krise in Echtzeit und das Nachbeben
Auch das Beispiel von Pfizer verdeutlicht die neue Logik der Krisenkommunikation. Während des Super Bowl 2025 schaltete der Pharmakonzern eine emotionale Werbung: Ein krebskrankes Kind wird geheilt, Pfizer stilisiert sich als Hoffnungsträger. Doch der gewünschte Effekt verpuffte – und drehte sich binnen Stunden ins Gegenteil. Kritiker warfen dem Konzern Zynismus vor, NGOs wie Children’s Health Defense griffen das Narrativ auf, alte Skandale wurden reaktiviert. Die Kampagne erzeugte fast 100.000 Engagements auf Social Media binnen kürzester Zeit – zum überwiegenden Teil negativ. Was hier scheiterte, war kein Mangel an Storytelling, sondern ein Mangel an Stakeholder-Antizipation. Wer über sich selbst spricht, muss wissen, wie andere über ihn denken. Pfizer hat unterschätzt, wie tief das Misstrauen gegen die eigene Branche sitzt – und wie schnell sich Kommunikationsabsichten gegen das eigene Unternehmen wenden können, wenn die narrative Resonanz fehlt.
Emotion schlägt Absicht – wenn der Resonanzraum kippt
Die Kommunikationslehre kennt viele Regeln zum Storytelling in der Krise. Doch eine bleibt zentral: Emotion ist nicht steuerbar, wohl aber antizipierbar. Und genau das ist Aufgabe moderner Krisenvor- und auch -nachbereitung. Wer eine groß angelegte Imagekampagne in einem hochpolitischen Umfeld startet – und das ist der Super Bowl –, muss nicht nur Inhalte, sondern auch Diskurspotenziale modellieren. Mit datenbasierten Tools können Kommunikatoren Frühwarnsignale erkennen und die Anschlussfähigkeit von Botschaften prüfen. Die Analyse zeigt im Fall Pfizer: Die Tonalität kippte innerhalb weniger Stunden – von Respekt zu Ablehnung. Unternehmen, die hier nicht vorbereitet sind, verlieren wertvolle Zeit und Deutungshoheit. Wer Reputationsrisiken sichtbar macht, kann sie auch steuern. Krisen verlaufen oftmals nicht linear – sie sind dynamisch, emotional aufgeladen und verlaufen oft in Wellen. Wer sie bewältigen will, braucht mehr als eine gute Pressestelle. Er braucht ein Frühwarnsystem, das Debatten analysiert, Kontexte sichtbar macht und die strategische Intervention zum richtigen Zeitpunkt ermöglicht. In der CrowdStrike-Krise ließ sich etwa exakt nachvollziehen, welche Erzählungen sich durchsetzten – und wann. Von „technisches Versagen“ über „menschliches Fehlverhalten“ bis hin zu „politischer Systemkritik“ reichten die Framings. Und auch bei Pfizer war klar erkennbar, dass frühere Kontroversen wie ein Resonanzboden wirkten, auf dem sich neue Kritik verstärkte. Media Intelligence macht diese Prozesse sichtbar und hilft Kommunikatoren dabei, Blindspots durch Insights zu verhindern und fundierte Entscheidungen in oftmals hektischen Situationen treffen zu können. Bauchgefühl wird durch belastbare Fakten ersetzt. Wird dies dann zusätzlich sinnvoll in Corporate-Risk-Management-Prozesse eingebunden, können Kommunikatoren nicht nur die eigene Position des Unternehmens verteidigen, sondern aktiv durch Krisen steuern – datenbasiert und vorausschauend.
STRATEGISCHE LEARNINGS
Emotionale Reaktionen sind kein Risiko, sondern Realität.
Planung beginnt mit Resonanzanalytik.
Narrative müssen anschlussfähig sein.
Nicht nur medial, sondern emotional.
Monitoring ist keine Option, sondern Voraussetzung.
Und es beginnt bereits lange vor der Krise.
FAZIT
Krisenkommunikation ist keine Disziplin der Nachsorge. Sie ist präventiv, strategisch und muss heute zwingend datengetrieben erfolgen. Wer glaubt, allein mit Reaktionsfähigkeit durchzukommen, unterschätzt die Macht der Echtzeitöffentlichkeit. Kontrolle beginnt nicht mehr beim Statement – sondern schon beim Zuhören.